Ökologie der Pilze
Umweltbedingungen und Pilzwachstum
Das Vorkommen von Pilzen hängt neben den unter der Lebensweise erörterten Beziehungen zu anderen Lebewesen stark von den Umweltbedingungen ab. In einigen Jahren gibt es eine regelrechte Pilzschwemme. So schossen plötzlich Mitte August 2010 die Pilze in erstaunlicher Menge und Artenvielfalt aus dem Boden. Selbst Arten, die nicht jedes Jahr fruktifizieren, wie z.B. der beliebte Reifpilz (Zigeuner), ließen sich in größerer Menge in Berlin und an vielen Orten in Brandenburg blicken. In 2009 hingegen wartete man selbst im Frühherbst vergebens auf ein Lebenszeichen aus dem Reich der Pilze. Erst Mitte November erschienen die Maronen, die sonst um diese Zeit längst vergangen sind. Wie kommt das?
Auch die Orte des Wachstums scheinen nicht allein vom vorhandenen Pflanzenbewuchs abzuhängen. Obwohl es in Brandenburg nicht wenig Buchen gibt, finden wir den giftigen Satansröhrling nur selten, während er in den Buchenwäldern Thüringens häufig vorkommt. Andere Pilze, wie z.B. der Grünblättrige Schwefelkopf, sind fast überall zu finden. Woran liegt das?
Jahreszeit und Wetter
Zunächst ist festzustellen, dass einige Pilzarten zu bestimmten Jahreszeiten wachsen. So macht der Maipilz seinem Name alle Ehre, in dem er im Wonnemonat erscheint und uns bis Ende Juni erfreut. Der wunderschöne Winterpilz (Samtfußrübling) hingegen, den Sie am Kopf dieser Seiten schon bestaunt haben, lässt sich erst nach den ersten Frösten im Spätherbst oder Winter blicken. Es lohnt sich also, neben den für bestimmte Arten wichtigen Wirtspflanzen oder Symbiosepartnern auch deren Hauptwachstumszeit zu kennen. Den Mai- und den Winterpilz finden wir genau wie Steinpilz und Pfifferling nur, wenn wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort suchen.
Anders als unser bei der Betrachtung der Lebensweise zum Vergleich herangezogene Apfelbaum, der stets zu einer bestimmten Zeit blüht und Früchte trägt, sind unsere geliebten Schwammerln leider weniger zuverlässig. Deren Erscheinen hängt von vielen Faktoren ab, die noch nicht genau erforscht sind. Ganz generell lässt sich jedoch sagen, dass die Feuchtigkeit eine entscheidende Rolle spielt. Allgemein bekannt ist, dass der Schimmel trockenes Brot und gut durchlüftete Räume verschont. Hingegen können wir im Wald ziemlich sicher ab August mit Pilzen rechnen, wenn es mindestens drei Tage lang ausgiebig geregnet hat. Ein einziges Sommergewitter, und sei es noch so ergiebig, zeigt jedoch selten Wirkung. Sind Spätsommer und Frühherbst trocken, so kann die Pilzsaison komplett ins Wasser fallen oder besser gesagt verdörren.
Neben der Feuchtigkeit spielt die Temperatur für viele Arten und Gattungen eine Rolle. Röhrlinge mögen es generell etwas molliger und sind daher im Sommer bis Frühherbst zu finden. Der Austernpilz braucht Nachttemperaturen unter 10 Grad und erscheint daher später. Selbst Nachtfröste, die sonst die Fruchtkörper der meisten Arten verschwinden lassen machen ihm nichts aus. Doch auch hier gilt es zwischen Spezialisten und Generalisten zu unterscheiden, so ist der schon erwähnte Grünblättrige Schwefelkopf nicht nur in den unterschiedlichsten Habitaten, sondern auch vom Frühling bis zum Spätherbst zu finden, sofern es ein wenig Feuchtigkeit und frostfreie Nächte gibt.
Vorhersagen zu treffen ist schwierig, um nicht zu sagen unmöglich. Jedes Jahr im Frühling beginnen in meinem Pilzverein wieder die Prognosen für die Hauptpilzsaison. Der eine Spezialist meint, auf Grund der Frost- und Schneesituation im vergangenen Winter sei dieses oder jenes zu erwarten, der nächste stellt auf den Regen im April ab und kommt zu ganz anderen Ergebnissen.
Klima und Höhenlage
Anders als das Wetter, das kurzfristige Zustände bezeichnet, steht das Klima als Begriff für den durchschnittlichen Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort. Wie wir schon gesehen haben, ist die Feuchtigkeit ein wichtiger Faktor für das Pilzwachstum. Während das Wetter mit darüber entscheidet, wann eine Art Fruchtkörper ausbildet, spielt das Klima eine Rolle für das generelle Vorkommen einer Art. Dabei sind die durchschnittliche Temperatur und die durchschnittliche Regenmenge wichtige Faktoren. Doch auch die Maximalwerte entscheiden darüber, ob ein bestimmter Pilz hier oder dort vorkommt.
Die Höhenlage in einer Gegend nimmt wiederum Einfluss auf die vorgenannten Umstände. Einleuchtend ist jedoch, dass das Klima in 500 m Höhe in Nordschweden ein anderes ist, als in gleicher Höhe in Süditalien. Um die Funga einer konkreten Gegend zu erkunden, müssen wir also auf die dortigen individuellen Begebenheiten achten. Der überaus beliebte Kaiserling hat sein Hauptverbreitungsgebiet leider südlich der Alpen. Steinpilz und Perlpilz hingegen finden sich in großen Teilen der Nordhalbkugel. Diese kommen im Flachland ebenso vor wie in bergigen Regionen, während der Königsfliegenpilz eher als montane Art bekannt ist.
Doch nicht nur verschiedene Breitengrade oder Höhenlagen bieten unterschiedliche Lebensgrundlagen. Auch Mikroklimata haben teilweise relevanten Einfluss auf die Funga. So finden wir auf der sonnenbeschienenen Seite eines eiszeitlichen Rinnensees oft wärmeliebende Röhrlinge, am gegenüberliegenden Ufer suchten wir sie vergebens.
Wir stellen also fest, dass es auch in Bezug auf das Klima und die Höhenlage Spezialisten und Generalisten gibt. Auch hier hilft nur, sich mit den Vorlieben einer konkreten Art zu beschäftigen. Dennoch finden wir, dass in den Niederungen des Harzes durchschnittlich eine andere Funga zu Hause ist, als in den Höhenlagen dieses Mittelgebirges.
Geologie und anthropomorphe Einflüsse
Wie eingangs erwähnt, finden wir in Gebieten gleicher Höhenlage und auf den ersten Blick gleicher Flora doch eine unterschiedliche Funga. Dies liegt an der Bodenbeschaffenheit, insbesondere spielen der pH-Wert und die Nährstoffsituation eine wichtige Rolle.
Basische Böden, z.B. kalkhaltiges Untergrundgestein oder lehmige Böden, beherbergen eine grundsätzlich andere Pilzgemeinschaft als neutrale oder saure Böden. Nun verstehen wir auch, warum der Satansröhrling in der märkischen Sandbüchse nicht gedeiht, in den kalkigen Hängen des thüringischen Hainichs dagegen häufig gefunden wird, obwohl hier und dort Buchen wachsen. Bei näherem Hinsehen stellen wir allerdings fest, dass der Pflanzenbewuchs durchaus Unterschiede zeigt. Zwar gibt es auch unter den Bäumen Spezialisten, die an den pH-Wert des Bodens besondere Anforderungen stellen. Deutlicher zeigt uns jedoch der Bewuchs des Bodens, mit welcher Beschaffenheit desselben wir es zu tun haben. Typische Indikatorpflanzen für saure Böden sind Heidekraut und Blaubeere, Hahnenfußgewächse zeigen basische bzw. kalkhaltige Böden an.
Darüber hinaus spielt auch die Nährstoffsituation des Bodens, insbesondere der Nitratgehalt eine große Rolle. Wiesenchampignons und Parasole finden wir auf gut gedüngten Weiden. Die wunderschönen Saftlinge bevorzugen nährstoffarme Wiesen. Auch hierfür gibt es Zeigerpflanzen: die Brennnessel mag es stickstoffreich, die wilde Möhre liebt arme Böden. Doch nicht nur die Landwirtschaft sorgt für Nährstoffeinträge, auch der Autoverkehr erhöht den Stickstoffgehalt der Böden. Daher birgt ein Wald in Nähe stark befahrener Straßen oft andere Fungi als an verkehrsfernen Stellen.
Keine Panik!
"Oh mein Gott, was für eine Wissenschaft!" möchte man ausrufen, angesichts der vielen Umstände, die Pilze wachsen lassen oder eben auch nicht. So mancher wird verstehen, warum er bisher erfolglos mit Korb und Messer durch den Wald gestreift ist. Doch wir lassen die Flinte nicht ins Korn sinken und erinnern uns daran, dass auch Rom nicht an einem Tag erbaut wurde. Sicherlich wird es eine Zeit dauern, bis man die notwendige Erfahrung gesammelt hat, um zielgerichtet einer Vielzahl bestimmter Arten nachzustellen. Doch das ist ja auch das schöne an einem Hobby, man lernt immer neues dazu und das Reich der Pilze bietet nicht nur spannende Exkursionen in von warmem Herbstlicht durchfluteten Wäldern, sondern auch Stoff für lange Winterabende. Wir nähern uns der Materie schrittweise und schon nach dem ersten Seminar wissen wir, wo wir nach Reizkern suchen müssen.